Verteilung

Die Kluft wird tiefer

ver.di NEWS (05/2019)
01.06.2019


Die hohen Einkommen sind stark gestiegen, die niedrigsten sogar gesunken

Die Realeinkommen in Deutschland sind gestiegen. Von 1991 bis 2016 – so weit reicht die gesamtdeutsche Erfassung derzeit – ist es bei den verfügbaren Einkommen zu einem Zuwachs von durchschnittlich 18 Prozent gekommen. So weit die positive Nachricht, die sich aus dem kürzlich vorgelegten Wochenbericht 19/2019 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergibt.

Von den Steigerungen haben jedoch längst nicht alle profitiert. Bei Untersuchungen der Einkommensverteilung werden die Einkommen in zehn Bereiche aufgeteilt, sogenannte Dezile. Im zehnten Dezil, also bei den hohen Einkommen, gab es in dem genannten Zeitraum einen Zuwachs von 35 Prozent. Im zweiten Dezil, also bei den niedrigen Einkommen, lag der Zuwachs hingegen bei nur zwei Prozent. Und im ersten Dezil verzeichneten die Forscher*innen seit 2010 sogar einen Rückgang der Einkommen.

Insbesondere junge Menschen sind mittlerweile stärker von Armut bedroht. Ungefähr ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen sehen sich mit niedrigen Einkommen und ihren Folgen konfrontiert. Dass in diesem Altersbereich viele in Ausbildung oder Studium sind, ist nur bedingt eine Erklärung. Denn auch bei den 25- bis 34-Jährigen ist die Gefahr der Armut groß, mittlerweile liegt ein knappes Viertel von ihnen mit den Einkommen unterhalb der Armutsgrenze. Das erklären die Forscher*innen laut einer Pressemitteilung des DIW mit Erwerbsunterbrechungen und einem ausgeweiteten Niedriglohnsektor.

Steigende Mieten

Und die Aussichten sind nicht gut. „Da im Jahr 2017 mehr als sieben Millionen Beschäftige in Deutschland einen Minijob ausübten und es zunehmend Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Teilzeitbeschäftigung gibt, bietet Erwerbstätigkeit allein auch keinen umfassenden Schutz vor Einkommensarmut mehr“, heißt es weiter in der Mitteilung. Hinzu kommen steigende Mieten, die nicht nur in den Großstädten die verfügbaren Einkommen weiter schmälern.

Der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, hat die Bundesregierung angesichts des großen Niedriglohnsektors mehrfach zum Handeln aufgerufen. Auch der Tarifbindung misst er eine wichtige Rolle zu. Mitte Mai kritisierte er in einem Beitrag auf „Zeit online“, dass im Niedriglohnbereich kaum ein Arbeitsvertrag der Tarifbindung unterliege. „Sozial ist nicht, was irgendeine Arbeit schafft, sondern sozial ist, was gute Arbeit schafft“, schreibt er. Und zur guten Arbeit gehören für ihn sowohl Löhne, von denen Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten, als auch die Chance des beruflichen und gesellschaftlichen Aufstiegs. „Ansonsten verdient unsere Marktwirtschaft den Titel soziale Marktwirtschaft nicht“, so sein Fazit. Heike Langenberg

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